Dienstag, 26. April 2011

Wie schreibe ich eine Gedichtsinterpretation? / Aufbauschema

Woran muss ich alles denken und wie steht's mit dem Aufbau?

Zum Beispiel so, wie ich es gelernt habe und es sich bewährt hat:

1. Teil: Einleitungssatz

  • Textsorte
  • Titel
  • Erscheinungsjahr
  • Autor
  • Epoche (lässt sich oftmals als These oder Deutungshypothese verwenden; eine Übersicht HIER)
  • kurze Beschreibung des Inhalts 

2. Teil: Hauptteil

  • Inhaltsangabe (wie immer, d.h. im Präsens, keine wörtliche Rede, keine Zitate, stattdessen in eigenen Worten,...)
  •  Formale Analyse und sprachliche Gestaltung
    • Strophen
    • Verse
    • Reimart
    • Reimschema
    • Kadenz
    • Metrum
    • Zeilenstil oder Hakenstil?
    • Tempus
    • Motive
    • Stilmittel
    • Verben und Adjektive
      • stark oder schwach?
      • aus bestimmten Wortfeldern?
  •  Interpretation
    • Ist meistens individuell
    • im Allgemeinen gilt es darzustellen, inwiefern es dem Autor gelingt, Form und Inhalt zu verknüpfen. Dazu betrachtet man die verwendeten Motive, Stilmittel, Verben, Adjektive, Wortfelder,.... Spannt sich vielleicht ein Bogen zwischen Anfang und Ende des Gedichts?
  •  Titelbezug 
  •  Epoche

3. Teil: Schlussteil 

  • Zusammenfassung (möglichst keine neuen Aspekte!)
  • Deutungshypothese bestätigen
  • eigene Meinung/ Beurteilung / Einschätzung 


Beispielinterpretationen, in denen ich mich an diesem Schema orientiert habe, findet Ihr in diesem Blog. Müsst Ihr vielleicht ein wenig suchen.

    Mittwoch, 20. April 2011

    Interpretation: "Nachtlied" (Joseph von Eichendorff, 1815)

    Nachtlied (1815)


    1  Vergangen ist der lichte Tag,
    2  Von ferne kommt der Glocken Schlag;
    3  So reist die Zeit die ganze Nacht,
    4  Nimmt manchen mit, der's nicht gedacht.

                   
    5  Wo ist nun hin die bunte Lust,
    6  Des Freundes Trost und treue Brust,
    7  Des Weibes süßer Augenschein?
    8  Will keiner mit mir munter sein?

                   
    9  Da's nun so stille auf der Welt,
    10  Ziehn Wolken einsam übers Feld,
    11  Und Feld und Baum besprechen sich –
    12  O Menschenkind! was schauert dich?

                   
    13  Wie weit die falsche Welt auch sei,
    14  Bleibt mir doch Einer nur getreu,
    15  Der mit mir weint, der mit mir wacht,
    16  Wenn ich nur recht an ihn gedacht.

                   
    17  Frisch auf denn, liebe Nachtigall,
    18  Du Wasserfall mit hellem Schall!
    19  Gott loben wollen wir vereint,
    20  Bis daß der lichte Morgen scheint!


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    Bei dem vorliegenden Gedicht „Nachtlied“ (1815) von Joseph von Eichendorff handelt es sich um ein Gedicht aus der Epoche der Romantik. Es handelt vom Einbruch der Dunkelheit am Ende des Tages sowie der Wirkung der Nacht auf das lyrische Ich.

    Das Gedicht ist in fünf Strophen gegliedert; jede Strophe enthält vier Verse. Es liegt ein Paarreim mit dem Reimschema aabb, ccdd, eeff, gghh, iijj vor. Jeder Vers endet mit einer männlichen Kadenz. Zusammen mit dem Paarreim ergibt sich mit dem Metrum des vierhebigen Jambus und der gleichmäßigen Einteilung in die Strophen eine klare äußere Form des Gedichts. Dazu trägt bei, dass Eichendorffs „Nachtlied“ durchgängig im Zeilenstil geschrieben ist. Das gesamte Gedicht steht im Präsens.

    In der ersten Strophe beschreibt das lyrische Ich die gerade eintretende und Stunde um Stunde fortschreitende Nacht, in der es sich gerade in der Natur aufhält und aus der Ferne den Glockenschlag hören kann.
    In der zweiten Strophe erinnert sich das lyrische Ich an den Tag und sehnt sich nach Liebe, Freude und seinen Bekannten.
    In der dritten Strophe scheint die tiefe Nacht erreicht zu sein und das lyrische Ich beschreibt das, was es wahrnimmt: die Stille und die über das Land ziehenden Wolken, aber möglicherweise auch Ängste.
    Wie in der ersten Strophe der christliche Glaube durch das Glockenläuten angedeutet wurde, spricht das lyrische Ich in der vierten Strophe von Gott, der der Einzige ist, der dem lyrischen Ich Beistand leitet und es versteht.
    In der fünften und letzten Strophe fordert das lyrische Ich schließlich die Nachtigall und den Wasserfall – also die Natur – auf, Gott zu loben. Im letzten Vers wird deutlich, dass sich das lyrische Ich den Morgen herbeisehnt.

    In Eichendorffs „Nachtlied“ spielen viele Motive, vor allem Sehnsuchtsmotive, eine wichtige Rolle. Viele der für romantische Gedichte typischen Motive und Symbole lassen sich auch in dem vorliegenden Gedicht finden.
    Bereits zu Beginn des Gedichts beschreibt das lyrische Ich den von fern kommenden Schlag der Glocken (vgl. V. 2), woraus man schließen kann, dass es sich gerade außerhalb des Ortes, also der Zivilisation, in der Natur befindet. Hier zeigt sich das Motiv der Sehnsucht nach Ferne. Dies gilt auch für den folgenden Vers: „So reist die Zeit die ganze Nacht“ (V. 3). Hier taucht ebenfalls das Motiv der Sehnsucht nach Ferne auf, welches in diesem Falle mit dem Motiv des Wanderns oder Reisens einhergeht. Ein weiteres für romantische Gedichte typisches Motiv ist das der Sehnsucht nach Liebe, welches sich besonders in Vers 7 äußert. Das Motiv der Sehnsucht nach der Einheit von Mensch und Natur wird deutlich, indem sich in der dritten Strophe „Feld und Baum besprechen“ (V. 11) und das lyrische Ich fragen: „O Menschenkind! Was schauert dich?“ (V. 12). In den beiden letzten Strophen ist der Glaube ein zentraler Aspekt. Das lyrische Ich fühlt sich einsam in der „falsche[n] Welt (V. 13) und stellt fest: „Bleibt mir doch Einer nur getreu, / Der mit mir weint, der mit mir wacht“ (V. 14f.). Mit „Einer“ ist zweifellos Gott gemeint, der der Einzige ist, der dem lyrischen Ich beisteht und es versteht. Die große Distanz zwischen der „falsche[n] Welt“ (V. 13) und dem verständnisvollen Gott wird durch den einzigen unreinen Reim im Gedicht (sei – getreu, vgl. V. 13f.) verdeutlicht. In der folgenden Strophe fordert das lyrische Ich die Nachtigall (man beachte: einziger nächtlicher Singvogel) und den Wasserfall auf, gemeinsam Gott zu loben. Hier steht die Schönheit der Nacht und der Natur im Mittelpunkt.

    Neben zahlreichen Motiven lassen sich viele Stilmittel in dem Gedicht finden. Auffällig sind Personifikationen, wie zum Beispiel die reisende Zeit (vgl. V. 3) oder Feld und Baum, die sich besprechen (vgl. V. 11). Durch die Personifikationen erhält das Gedicht ein gewisses Maß an Dynamik und klingt phantastischer. Die Natur wird so dargestellt, als hätte sie ein eigenes Wesen. Die rhetorische Frage „O Menschenkind! Was schauert dich?“ (V. 12) zeigt, dass es eigentlich gar keinen Grund gibt, Angst zu haben. Der Parallelismus in Vers 15 „Der mit mir weint, der mit mir wacht“ betont, wie verständnisvoll Gott dem lyrischen Ich erscheint und wie sehr er ihm in der „falsche[n] Welt“ (V. 13) beisteht. Ein weiteres auffälliges Stilmittel, nämlich das des Gleichklangs, findet sich in Vers 18 in der letzten Strophe. Durch das Spiel mit den Klängen erreicht die Beschreibung der Natur ihren Höhepunkt.

    Neben diesen rhetorischen Mitteln fällt auch auf, dass überwiegend dynamische Verben Verwendung finden, wie zum Beispiel „reisen“ (vgl. V. 3), „ziehen“ (vgl. V. 10), „kommen“ (vgl. V. 2), und weniger statische Verben wie „wachen“ (vgl. V. 15) oder „scheinen“ (vgl. V. 20).

    Viele Adjektive prägen das Gedicht. Es handelt sich bei ihnen fast nur um Adjektive, die etwas Positives wie Freude und Frieden ausdrücken, zum Beispiel “bunt“ (vgl. V. 5), „treu“ (vgl. V. 6), „süß“ (vgl. V. 7), „munter“ (vgl. V. 8), „still“ (vgl. V.9), „hell“ (vgl. V. 18), und kaum Adjektive, die etwas Negatives ausdrücken, wie zum Beispiel „einsam“ (vgl. V. 10) oder „falsch“ (vgl. V. 13). Aufgrund dieser doch recht positiven Wahrnehmung der Nacht würde ich sagen, dass das lyrische Ich zufrieden ist. Dem „positiven“ Adjektiv „licht[e] “ (vgl. V. 1; 20) kommt eine besondere Bedeutung zu, da es sowohl im ersten als auch im letzten Vers vorkommt und somit eine Verbindung zwischen Anfang und Ende des Gedichts herstellt. Man kann sagen, dass mit ihm die im Gedicht beschriebene Nacht beginnt und endet.

    Eichendorff benutzt vor allem Wörter aus dem Wortfeld „Natur“, weshalb ich dieses Gedicht der Gattung der Naturlyrik zuordne.


    Zweifellos handelt es sich bei Eichendorffs „Nachtlied“ um ein Gedicht der Epoche der Romantik.
    Zum einen natürlich, da es von Joseph von Eichendorff geschrieben worden ist, einem der bedeutendsten Dichter aus der Epoche der Romantik.
    Doch es lässt sich auch am Gedicht direkt festmachen, dass es sich um ein Gedicht der Romantik handelt. Auffällig ist der Naturbezug, der sich durch das gesamte Gedicht zieht. Außerdem spielen Liebe und Sehnsucht nach Ferne und Einheit von Mensch und Natur eine zentrale Rolle. Das Gedicht muss auch in seinem historischen Kontext gesehen werden. Zur Zeit der Romantik war es in Europa sehr unruhig. Grund dafür waren die Napoleonischen Kriege und die Französische Revolution. Eichendorffs „Nachtlied“ beschreibt nicht die Realität, sondern eine Phantasie- oder Traumwelt, in die die Romantiker durch Tod und Leid getrieben werden. Die Flucht ins Phantastische liegt aber auch an einem am Ende des 18. Jahrhunderts stattfindenden Mentalitätswechsel vom Vernunftglauben der Aufklärung fort hin zu dem Gefühl, das jetzt im Mittelpunkt steht.
    Aufgrund dieser Aspekte bin ich davon überzeugt, dass es sich um ein Gedicht der Romantik handelt.

    Das Gedicht gefällt mir gut, da es sich zum einen sehr gut lesen lässt, und zwar wegen der regelmäßigen und klaren äußeren Form, und auch vom Inhalt her ansprechend ist, da es eine interessante Phantasiewelt beschreibt.

    Sonntag, 10. April 2011

    Fridolin / Charakterisierung ("Traumnovelle" von Arthur Schnitzler) / Wer ist Fridolin?

    Fridolin und Albertine sind die Protagonisten in Arthur Schnitzlers “Traumnovelle” (1926). Im Folgenden werde ich näher auf den Charakter und die Persönlichkeitsstruktur Fridolins eingehen.


    Allgemeines zu Fridolin

    Fridolin ist 35 Jahre alt (vgl. S.24, Z.17) und praktizierender Arzt, der Hausbesuche durchführt (vgl. S.8, Z.29f.) und im Krankenhaus tätig ist. In eigener Praxis arbeitet er engagiert; er ist stolz auf das, was er erreicht hat: Seine Familie, sein Haus und seine eigene Praxis. Er trägt Pelz und genießt eine wohlbetuchte Stellung, so kann er sich zum Beispiel ein Hausmädchen oder Urlaub leisten.


    Beziehung Fridolin - Albertine und Fridolins Eigenschaften

    Mit Albertine führt Fridolin eine glückliche, scheinbar ungetrübte Ehe mit Kind. Er ist das patriarchalische Familienoberhaupt, das sich im Umgang mit seiner Frau gemäß der alten Rollenverteilung verhält, und das sich durch seine pflichtbewusste Denkweise auszeichnet (vgl. S.15, Z.10). Auf Albertines Geständnisse reagiert er heftig mit harter Stimme (vgl. S.13, Z.3), Zweifel und Unmut (vgl. S.13, Z.35; S.14, Z.23), und dem indirekten Vorwurf der Unwahrheit und des Verrats (vgl. S.13, Z.26). Gewöhnlich ist Fridolin jedoch ein liebevoller Mensch und Vater, was zum Beispiel der Umgang mit seiner Tochter zeigt.




    Die Tatsache, dass “er sich dem vortrefflichen Doktor Roediger gegenüber als der Geringere vor[kommt]” (S.19, Z.7-9), weist auf einen möglichen Minderwertigkeitskomplex Fridolins hin.
    Durch seine sprunghafte Art und Weise, die Nacht zu erleben und Damen kennenzulernen, vor allem durch Ersteres, wird Fridolins innere Unruhe und Unsicherheit deutlich.
    Weiterhin kann man ihn als oftmals eifersüchtig, emotional und mitfühlend beschreiben (vgl. S.10, Z.38; S.12, Z.27; S.17, Z.5-7).
    Er ist als lüsterner Mensch darauf aus, seinen Wunsch nach Auslebung seiner Triebe zu erfüllen, doch gelingt es ihm nicht; zumindest nicht zu dem Maße, zu welchem es Albertine durch ihren Traum gelingt, ihre Abenteuer zu erleben, denn sein Handeln ist durch Misserfolge gekennzeichnet. Schließlich gelingt es ihm nicht, sich einer der Frauen, die ihm begegnen, wirklich näher zu kommen.




    Sowohl bei Fridolin als auch bei Albertine äußert sich ein Rachebedürfnis, bei Fridolin gegen Albertine und den Dänen, bei Albertine gegen Fridolin im Traum wegen seiner Jünglingserlebnisse. Die Rache gedenkt er durch Untreue zu üben. Die Ehe läuft Gefahr, aufgrund der Entfremdung der Protagonisten, und zwar dadurch, dass sie sich zu anderen Personen hingezogen fühlen, zu zerbrechen und zu scheitern.


    Mehr zu Fridolin findet ihr HIER.


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    Die Seitenzahlen beziehen sich auf die Ausgabe

    EinFach Deutsch
    Arthur Schnitzler: Traumnovelle
    (Gymnasiale Oberstufe)
    Schöningh-Verlag

    ISBN 978-3-14-022459-8

    Montag, 4. April 2011

    Über Herders "Abhandlung über den Ursprung der Sprache" / kurze Zusammenfassung

    Hier für Euch eine kurze und einfach zu verstehende Zusammenfassung:

    In seiner „Abhandlung über den Ursprung der Sprache“ (veröffentlicht 1772) setzt sich der deutsche Dichter, Theologe und Philosoph Johann Gottfried Herder mit der Entstehung des menschlichen Sprechens auseinander.
    Er beschäftigt sich in seiner Arbeit unter anderem mit zwei Sprachentstehungstheorien seiner Zeit, zum einen der Süßmilchs und zum anderen der Condillacs. Süßmilch ist von einem göttlichen Ursprung der Sprache überzeugt, da er davon ausgeht, dass der unvollkommene Mensch nicht dazu imstande gewesen sein kann, etwas derart Komplexes wie die Sprache zu entwickeln; der Mensch muss die von Gott erfundene Sprache stattdessen im göttlichen Unterricht erlernt haben. Herder schließt sich zunächst der These Condillacs an, der einen tierischen Ursprung der Sprache behauptet. Grund dafür sind für Herder die offenbar erstaunlichen Gemeinsamkeiten von Tieren und Menschen und ihr gemeinsamer Drang nach schallender Äußerung. So schreibt Herder in seiner Schrift „Kalligone“ später, dass jeder Schall „ein Inneres ausdrückt“.

    Die Ursache dafür, dass sich Herder der These Süßmilchs nicht anschließen kann, sieht Herder in einer für ihn unlogischen Behauptung Süßmilchs. Wenn der Mensch durch seine Unvollkommenheit nicht in der Lage gewesen sein sollte, die Sprache zu erfinden, wie sollte er dann dazu fähig gewesen sein, diese Sprache im Unterricht zu erlernen, da schließlich die Sprache laut Süßmilch erst die Vernunft erweckt und ausbildet.Wie wäre der Mensch also ohne Sprache und damit ohne Vernunft eines göttlichen Unterrichts fähig gewesen? Für Herder ist die Entstehung der Sprache sttattdessen aus eigenen Mitteln der Menschen geschehen.



    Er distanziert sich nun auch von Condillacs These, denn Herder sieht im menschlichen Verstand, der den Tieren fehlt, den zündenden Funken zur Entstehung der Sprache. Für Herder ist die menschliche Sprache mehr als das Zusammenwirken willkürlicher Schälle der Empfindung, wie es bei Tieren der Fall ist, woraus Herder schließt, dass die Sprache kaum einen tierischen Ursprung haben kann.
    Er vergleicht die Größe der Wirkungskreise der Tiere und der Menschen und stellt fest, dass die kleine tierische Sphäre die Sprache unnötig macht. Dafür verfügen Tiere über einen stärkeren und sichereren Instinkt als Menschen; ihre Sinne sind schärfer, ihre Kunstwerke wunderbarer und einartiger (von gleichem Bau und gleicher Struktur, von derselben Art). Die Tiersprache entspricht nicht der Menschensprache, da selbst das am vielfachsten tönende Tier in einem Wirkungskreis, der einem eines Menschen entspräche, mit seiner Tiersprache nicht bestehen könnte. In seinem Lebensraum wird das Tier durch seine Instinkte geleitet. Menschengattung und Tiergattung unterscheiden sich laut Herder nicht in der Mannigfaltigkeit bestimmter Eigenschaften, sondern in ihrer von Grund auf unterschiedlichen Art. Beim Menschen ist gemäß Herders Aussage alles im Missverhältnis. Der Mensch verfügt über eher schwache Sinne, dafür aber vielfältige Bedürfnisse, geringe Kräfte, dafür einen umso größeren Wirkungskreis, in dem sich der Mensch zu behaupten weiß, eingeschränkte Organe und eine uneingeschränkte Sprachfähigkeit. Laut Herder benötigt der Mensch die Sprache als ein Ausgleich für den Mangel des Instinks.

    Obendrein ist der Mensch durch seine Besonnenheit gekennzeichnet, durch die Fähigkeit zur Reflexion, die ihn zum einen vom Tier unterscheidet und zum anderen zu dem Erfinder der Sprache macht. Die Erfindung der Sprache aus eigenen Mitteln des Menschen ist nicht künstlich, stattdessen ist sie ebenso natürlich, wie der Mensch natürlich ist.




    Herders Argumentation steht ganz im Zeichen der Tradition des Rationalismus und der Aufklärung und durchläuft verschiedene Stadien, die ihn zunächst zu Condillacs Sprachtheorie führt, die er später zu revidieren versteht, während er von Beginn an von der Unwahrheit Süßmilchs Theorie überzeugt zu sein scheint. Aus der Theorie Condillacs entsteht letztlich Herders eigene Sprachtheorie, die weder von einem göttlichen noch von einem tierischen Ursprung der Sprache ausgeht, sondern von der Spracherfindung durch den Menschen selbst.

    Freitag, 1. April 2011

    Joseph von Eichendorff: "Nachtzauber", Interpretation und Analyse

    Nachtzauber

    1  Hörst du nicht die Quellen gehen
    2  Zwischen Stein und Blumen weit
    3  Nach den stillen Waldesseen,
    4  Wo die Marmorbilder stehen
    5  In der schönen Einsamkeit?
    6  Von den Bergen sacht hernieder,
    7  Weckend die uralten Lieder,
    8  Steigt die wunderbare Nacht,
    9  Und die Gründe glänzen wieder,
    10 Wie du's oft im Traum gedacht.

    11 Kennst die Blume du, entsprossen
    12 In dem mondbeglänzten Grund?
    13 Aus der Knospe, halb erschlossen,
    14 Junge Glieder blühend sprossen,
    15 Weiße Arme, roter Mund,
    16 Und die Nachtigallen schlagen,
    17 Und rings hebt es an zu klagen,
    18 Ach, vor Liebe todeswund,
    19 Von versunknen schönen Tagen –
    20 Komm, o komm zum stillen Grund!


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    Bei dem vorliegenden Gedicht "Nachtzauber" (1853) von Joseph von Eichendorff handelt es sich um ein Gedicht der Epoche der Romantik. Es beschreibt die Natur und ihre Schönheit bei Nacht sowie Liebeskummer des lyrischen Ichs.

    Das Gedicht ist in zwei Strophen eingeteilt. In der ersten Strophe beschreibt das lyrische Ich Empfindungen, die es in der nächtlichen Nacht wahrnimmt. Es berichtet von Quellen, Seen, Bergen und dem glänzenden Untergrund. In der zweiten Strophe erinnert sich das lyrische Ich an eine wachsende Pflanze, dann kommt es wieder auf das Leben in der Nacht zurück und äußert zum Schluss Liebeskummer und die Sehnsucht nach vergangenen Tagen.

    Das vorliegende Gedicht "Nachtzauber" ist in zwei Strophen gegliedert, von denen jede zehn Strophen enthält. Das Reimschema lautet abaabccdcd efeefgghgh, es liegt also eine unregelmäßig wirkende Reimart vor, so lassen sich Paarreime (aa, cc), ein Kreuzreim (cdcd) sowie ein umarmender Reim (baab) finden. Die Verse enden sowohl auf männliche Kadenzen (vgl. V. 2, 5, 8, 10, 12, 15, 18, 20) als auch auf weibliche (vgl. V. 1, 3, 4, 6, 7, 9, 11, 13, 14, 16, 17, 19). Als Metrum liegt ein vierhebiger Trochäus vor. Das Gedicht ist im Hakenstil verfasst; sein Tempus ist Präsens, mit Ausnahme von Vers 10, der im Perfekt steht.
    Es lassen sich zahlreiche Motive finden, die sich durch das Gedicht "Nachtzauber" ziehen: Zum einen die Sehnsucht nach Liebe und Ferne, zum anderen spielen auch die Nacht, eine Traumwelt sowie die Mystik eine wichtige Rolle. Auffällig sind viele Stilmittel, auf die ich in der folgenden Interpretation genauer eingehen werde.


    In dem Gedicht "Nachtzauber" nimmt der Liebeskummer des lyrischen Ichs eine zentrale Rolle ein. Das Gedicht beginnt damit, dass das lyrische Ich die Schönheit der Natur beschreibt. Das lyrische Ich beschreibt die Situation in der Nacht als sehr positiv. Zwar ist es einsam, dennoch ist dies für das lyrische Ich eine "schöne[n] Einsamkeit" (V. 5). Die Nacht bezeichnet  das lyrische Ich sogar als "wunderbar" (V. 8). Erst in dem letzten Vers der ersten Strophe wird deutlich, dass es sich bei der vorher beschriebenen Situation um einen Traum handelt. Zwar stellt sich das lyrische Ich wahrscheinlich genau so die Nacht vor, dennoch sagt es: "Wie du's oft im Traum gedacht" (V. 10). Die beschriebene Schönheit der Natur bezieht sich also auf einen Traum oder eine Wunschvorstellung eines Menschen, der dem lyrischen Ich sehr nahe stand. Es handelt sich wahrscheinlich um die Trennung des lyrischen Ichs von eben diesem geliebten Menschen. Dass die Liebe zwischen ihnen nun vorbei ist, wird daran deutlich, dass dieser Vers als einziger Vers im Gedicht im Perfekt geschrieben ist. Dieser vorübergehende Tempuswechsel deutet die vergangene Liebe an und leitet auf die zweite Strophe über.
    In dieser erinnert sich das lyrische Ich an die Liebe, die, wie eine Blume herangewachsen ist. "Weiße Arme, roter Mund" (V. 15) beschreibt eigentlich diese Blume, aus der "junge Glieder" (V. 14) sprießen, es kann aber auch als Metapher für den geliebten Menschen gesehen werden und sich dabei auf das weibliche Schönheitsideal des 19. Jahrhunderts beziehen.
    Nach dieser Erinnerung an die vergangene Liebe ändert sich nun die Stimmung im Gedicht. Hat das lyrische Ich soeben noch alles positiv empfunden, zwar mit einer gewissen Sehnsucht an vergangene Tage, wird es nun von Liebeskummer ergriffen. Es beschreibt das Gefühl als "vor Liebe todwund" (V. 18). obwohl sich das lyrische Ich die geliebte Person sehnlichst "zum stillen Grund" (V. 20) herbeisehnt, sieht es ein, dass die schönen Tage "versunken" (vgl. V. 19) sind und es eigentlich unmöglich ist, dass die geliebte Person wieder zu dem lyrischen Ich findet.

    Diese Sehnsucht nach Liebe, in diesem Fall die vergangene Liebe, ist ein Motiv, das das gesamte Gedicht prägt. Aber es lassen sich weitere Motive finden. Zum Beispiel sei an dieser Stelle die Sehnsucht nach Ferne zu nennen. Zwar sehnt sich das lyrische Ich in die Nähe des geliebten Menschen, doch ist dieser für ihn unerreichbar geworden. Das Motiv der Sehnsucht nach Ferne wird in den Versen sechs und sieben deutlich, wenn "von den Bergen sacht hernieder, / Weckend die uralten Lieder" (V. 5f.) klingen. Mit den Liedern könnte die Stimme der Geliebten gemeint sein, die zwar weit weg ist, aber an die sich das lyrische Ich gut erinnern kann.
    Desweiteren kommt in dem Gedicht "Nachtzauber" eine Traum- oder Phantasiewelt vor. In dieser anderen Welt hält sich das lyrische Ich lieber auf, als in der realen. Dies zeigt, wie sehr es sich von der Geliebten angezogen fühlt. In der Phantasiewelt, die der ehemaligen Liebessituation entspricht, ist das lyrische Ich seiner Liebe näher. Eng verbunden mit dieser Traumwelt ist die Mystik in der Nacht, die positiv wie auch negativ aufgefasst werden kann.

    Neben den Motiven finden auch zahlreiche Stilmittel Verwendung.

    Das Gedicht beginnt mit einer rhetorischen Frage seitens des lyrischen Ichs, die es dem "Du" stellt. Zu Beginn des Gedichts ist seinem Leser die Situation des lyrischen Ichs noch nicht klar. Deswegen fühlt sich der Leser direkt angesprochen. Dies hilft ihm, in das Gedicht hineinzufinden.

    Auffällig ist die Alliteration "Gründe glänzen" (V. 9). Dieses Stilmittel unterstreicht die Schönheit der Natur. Dem "Grund" (vgl. V. 9) kommt aber auch noch eine weitere Bedeutung zu: Mit den glänzenden Gründen endet die Beschreibung des Traums. Mit dem Traum wurde das Gedicht begonnen und er stellt einen wichtigen Teil des Gedichts dar. Was nun auffällt ist, dass das Gedicht mit dem Wort "Grund" (V. 20) abschließt. Zwar tritt das Wort Grund auch in der Mitte des Gedichts in Erscheinung (vgl. V. 12), dennoch verbindet es Anfang und Ende des Gedichts und spannt zwischen ihnen einen Bogen. Vergleicht man überdies die Bedeutung von "Quellen" (V. 1) und "stiller Grund" (vgl. V. 20) so lässt sich der Ablauf des Lebens erkennen, von der Geburt bis zum Tod.

    Wie bereits erwähnt, findet ab Vers 16 eine Stimmungsänderung statt. Von den positiven Erinnerungen des lyrischen Ichs an die Geliebte, kommt es nun auf die negative Realität zurück und wird auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Dieser Wechsel von positiver zu negativer Stimmung im Gedicht wird durch die Anapher "Und die Nachtigallen schlagen, / Und rings hebt es an zu klagen" (V.  16f.) verdeutlicht. Zuvor war stille Nacht in dem Traum, dies ändert sich, indem die Nachtigall, der einzige nächtliche Singvogel, zu schlagen beginnt und den Stimmungswechsel einläutet.

    Da das Gedicht im Hakenstil verfasst worden ist, lassen sich viele Enjambements finden. Die Zeilensprünge sorgen für eine gewisse Dynamik, der die eher ruhige Wirkung des Trochäus entgegensteht. Das unregelmäßige Reimschema sorgt ebenso für Dynamik. Dabei wird die Nacht als "still[en]" (V. 3, 20) dargestellt. Für mich deutet die Dynamik auf eine möglicherweise schnell vergangene Liebe hin, wobei ich an dieser Stelle nicht überinterpretieren möchte.

    In dem Gedicht "Nachtzauber" spielt, wie bereits gesagt, die Natur eine zentrale Rolle. Es ist auffällig, wie viele Begriffe aus dem Wortfeld "Natur" Verwendung finden. Da das Gedicht nach dem ersten Lesen vorwiegend von der Natur handelt, ordne ich das Gedicht der Gattung der Naturlyrik zu.

    Der Titel "Nachtzauber" verbindet zwei Bereiche, die das Gedicht prägen: Die Nacht und die Mystik. Mystik ist ein von Eichendorff gerne verwendetes Element seiner romantischen Gedichte. Ich würde sagen, dass der Titel sehr gut zu dem Gedicht passt. Die Natur und der Zauber werden in dem Gedicht benutzt, um den Liebeskummer des lyrischen Ichs angemessen darstellen zu können. So denkt der Leser erst nicht an den Liebeskummer, also den eigentlichen Inhalt des Gedichts, sondern stellt sich die Natur vor. Ihm fällt erst später das eigentlich Wichtige in dem Gedicht, der Liebeskummer des lyrischen Ichs, auf.
    Dennoch bin ich der Ansicht, dass das Gedicht voll und ganz seinem Titel gerecht wird.



    Bei dem vorliegenden Gedicht "Nachtzauber" handelt es sich zweifelsfrei um ein Gedicht der Epoche der Romantik. Zum einen, da es von Joseph von Eichendorff geschrieben worden ist, einem der bedeutendsten Dichter der Romantik. Zum anderen lässt sich auch am Gedicht selbst festmachen, dass es sich um ein Gedicht der Romantik handelt. Auffällig ist vor allem der Naturbezug sowie die Sehnsucht nach Ferne und Liebe. Ein weiteres typisches Merkmal romantischer Gedichte ist die Flucht aus der Realität in eine Traumwelt. Dies wird in diesem Gedicht ganz besonders deutlich: Das lyrische Ich träumt von vergangener Zeit und der vergangenen Liebe und verspürt außerhalb der Traumwelt in der Realität Liebeskummer. Diese Flucht aus der Realität in eine Phantasiewelt kommt aber nicht von ungefähr. Sie ist eine Reaktion der Romantiker auf das Leid der Napoleonischen Kriege und der Französischen Revolution, aber auch auf die Industrialisierung und die damit verbundene Zerstörung der Natur und die Trennung von Familien. Aus diesem Grund bin ich der Ansicht, dass es sich bei dem Gedicht "Nachtzauber" um ein Gedicht der Romantik handelt.



    Abschließend kann man sagen, dass sich somit meine Deutungshypothese, dass "Nachtzauber" ein romantisches Gedicht ist, bestätigt hat. Das lyrische Ich empfindet Liebeskummer und flüchtet sich in eine Traumwelt, die aus Erinnerungen an die Geliebten besteht.
    Mir gefällt das Gedicht sehr gut. Es lässt sich sehr gut lesen und ist auch vom Inhalt her ansprechend. Besonders gut gefällt mir, dass dem Leser zunächst das Wichtigste im Gedicht, der Liebeskummer, verborgen bleibt, und der Leser erst nach und nach darauf gebracht wird.